Jurybegründung der Filmbewertungsstelle FBW

Prädikat besonders wertvoll

Ein Film, der in Minuten genauso lang ist wie die mittlere Haltbarkeitsdauer eines Menschen in Jahren. Statistisch gesehen. Diese statistische Lebenszeit nutzt der Filmemacher Philipp Hartmann, um seine eigene Biografie in einen Zusammenhang zu seinem und unserem Umgang mit dem subjektiven Zeitgefühl und der naturwissenschaftlichen und philosophischen Definitionen von Zeit zu stellen. Es ist der Ausgangspunkt zu einer ausführlichen Geschichte über die verrinnende, nicht aufhaltbare Zeit und unser Verhältnis zu ihr aus unterschiedlichsten Perspektiven.

Entstanden ist keine oberlehrerhafte Dokumentation mit Kommentar, sondern eine spannende, aus vielen Dimensionen zusammengesetzte, essayistische Filmcollage. Viele persönliche Elemente des Autors aus seinem Leben von der Geburt bis zur aktuellen Lebensmitte sind für ihn Anlass für die Fragestellung, wie die vergehende Zeit vom Anfang bis zum Lebensende erfahren wurde, wird und werden wird. Wissenschaftliche Beweise zur Definition werden auf Bruch- und Schwachstellen hinterfragt, wie z.B. die Nachjustierung der fehlenden Sekunde der Atomuhr in Braunschweig. Gedanken und Gespräche zur inneren Uhr, die anders tickt als die mechanische. Wann wirkt die Zeit wie gedehnt oder wann rast sie uns davon? Kleine witzige Inszenierungen, Nonsensgespräche mit Freunden zum Thema, die Wahrnehmung der Zeit am Beispiel der Zeichnungen der Uhr von demenzkranken Menschen, wissenschaftliche Darstellungen zum Thema Zeit und die Entwicklung einer Zeitmaschine lassen in ihrem Abwechslungsreichtum keine Langeweile aufkommen. Im Gegenteil: Durch die unterschiedlichen Ansätze und Erklärungen, Demonstrationen und persönliche Bezüge entstehen beim Zuschauen neue Gedanken und Ideen, in das Thema einzusteigen.

Der Film geht aber auch humorvoll mit seinem Thema um, umkreist es mit interessanten Reflexionen, bringt Gefühle ein und fasziniert mit vielen Bild-Ideen. Hervorzuheben ist, dass der Autor in seiner Funktion als Selbstdarsteller zeigt, dass er selbst ein Suchender ist, selbstironisch und ausprobierend. Und zwar gerade deshalb, weil er nicht die Position eines allwissenden Erzählers und Akteurs mit deren typischen Eitelkeiten einnimmt.

Ein Kritikpunkt bleibt: Den Film kann man mit der durchschnittlichen Lebenszeit pro Minute Film ein wenig zu lang definieren. Aber dies ist ja eben das Subjektive am Zeitempfinden. Und das ist auch gut so.

Am beeindruckendsten ist vielleicht die lange Schlusseinstellung einer Gondelfahrt bergauf. Die Kamera verfolgt den dahingleitenden Schatten einer Gondel, die nur mit einer Person besetzt ist. Es ist quasi die letzte Fahrt auf einen Berg mit dem Blick in die Weite, wenn die Lebenszeit sich erfüllt hat.